Helge Dorsch
Interview aus ORPHEUS INTERNATIONAL, Berlin
Helge Dorsch vertritt die Auffassung, dass die Menschlichkeit im Kunstschaffen
eine ganz wesentliche Rolle spielt. „Es sind die menschlichen Aspekte, die
sich auch in der Musik im Endprodukt manifestieren. Die Harmonie der Musik
ist nicht zu vermitteln ohne die Harmonie der Ausführenden.“ Daher bemüht
sich Helge Dorsch bei jeder Produktion, ein angenehmes Ensembleklima zu
schaffen. Das gilt auch für die Arbeit mit dem Orchester. Er hält wenig
davon, diktatorisch seine Vorstellungen durchzusetzen. Die Erfahrung lehrt,
dass die Orchester dann zwar reagieren, aber selten mit Intuition agieren.
Auf diese Weise ist es ihm bislang gelungen, von allen von ihm betreuten
Orchestern nicht nur akzeptiert zu werden, sondern - wie die Fachkritik
ihm einhellig bescheinigt - auch durchweg optimale Ergebnisse zu erzielen.
Jene Schwierigkeiten anderer Dirigenten, bei denen es sogar vorkommt, dass
Orchester sich weigern, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sind ihm fremd.
|
Helge Dorsch ist ein Operndirigent mit Leib und Seele, freut sich auf jede
neue Herausforderung und wird wegen seiner gründlichen Arbeit von Solisten
und Instrumentalisten gleichermaßen geschätzt. Für die Sänger bringt er
viel Verständnis auf. So hält er es für nahezu unzumutbar, dass der Kammerton
A von 432 Hertz aus der Zeit Verdis heute bereits auf 445 Hertz und mehr
hochgetrieben worden ist. Ein hohes C vor einhundert Jahren entspricht damit
in keiner Weise mehr einem hohen C aus der Gegenwart. Für die Sänger werden
die Spitzentöne daher immer schwieriger und teilweise auch zur Qual. So
ist zum Beispiel die höchste Note der Königin der Nacht heute bei extremer
Stimmung ein Fis, während sie zur Zeit der Komposition eine kleine Terz
niedriger lag und einem Es entsprach. Es ist daher auch nur zu verständlich,
dass man kaum noch eine Königin der Nacht mit der notwendigen dramatischen
Attacke findet. Diese extreme Höhe schaffen eigentlich nur Koloratursoubretten.
Die gegenläufige Feststellung ist für die tiefen Stimmen zu machen. Heute
findet man den tatsächlich schwarzen Bass, den echten Mezzo oder den tiefen
Alt im früheren Sinn kaum mehr, weil die tiefen Töne sich in ähnlicher Weise
nach oben verändert haben. In diesem Zusammenhang fällt Dorsch eine Anekdote
ein: Bei einem „Don Pasquale“ in Ankara sprach ihn der Tenor an, warum die
Orchesterstimmung heute so hoch sei. Er bekomme die Spitzentöne kaum noch.
Dorsch versicherte ihm, er werde mit dem Orchester sprechen und abhelfen.
In Wahrheit unternahm er nichts. Die psychologische Wirkung verfehlte aber
ihr Ziel nicht. Nach der Pause steigerte sich der Tenor zu makellosen Spitzentönen.
Nach der Aufführung bedankte er sich herzlich für die vermeintliche technische
Hilfe. |